Myrtax VII - Zeit, Geduld und Klingen

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02. Naprach 7345 Vierte Ära NL

Morgengrauen

Myrtax

 

 

Myrtax ließ die scharfe Klinge über die Haut der jungen Frau fahren und säuberte das Rasiermesser in der Schale mit bereits seifigem Wasser. Vorsichtig tupfte er mit einem weichen Trockentuch über ihre Weiblichkeit, warf noch einen kritischen Blick auf die blanke Haut und tippte ihr an das Schienbein.

"Fertig.", murmelte er, bevor er das Wasser in den Ausguss fließen ließ, welcher nach draußen an die Rinde des Baumes führte.

Huria erhob sich von dem schmalen Stuhl, ihr Gesicht immer noch gerötet. Keiner von den beiden Menschen hatte sich an die sehr unangenehme Situation bisher gewöhnen können. Der Bauch von Huria war bereits etwas gewölbt, man spürte die straffe Haut. Myrtax rieb ihren Oberkörper vom Schambereich bis zum Hals mit einem sanft duftendem Öl ein, damit ihre Haut geschmeidig blieb und keine Streifen aufwies, während ihr Körper sich veränderte.

Jilal mochte diese Veränderungen, Marseille schien kaum angetan von der Situation zu sein, aber sie schien ihren Herren zu lieben, soweit Myrtax es beurteilen konnte. Was vermutlich auch der Grund war, warum sie es mit sich machen ließ. Wobei sie sicherlich auch keine Entscheidung über den Körper der Sklavin treffen durfte. Obwohl sie eine Dienerin war, hatte sie kaum mehr Rechte als ein gewöhnlicher Sklave. Der Unterschied war nur, dass sie freiwillig und mit geringer Bezahlung als Dienerin arbeitete.

"Danke.", hauchte Huria so leise, dass es Myrtax fast wie ein Windstoß vorkam. Er nickte ihr nur zu, bevor er sie in das dünne Unterkleid aus Leinen hüllte, was im rechten Licht mehr entblößte als verbarg. Danach flocht er ihr die Haare zu dünnen Zöpfen, die in ihrem Kreuz zu einem dickeren Zopf zusammenflossen. Gerade rechtzeitig, denn die Sklavin übergab sich in die Waschschale, die Myrtax für die Rasur genutzt hatte.

"Tut mir leid." Huria spuckte Galle hinein.

"Schon gut." Myrtax goss das stinkende Erbrochene auch durch den Abfluss weg, spülte seine Schale mit Wasser aus und reinigte so auch den Abfluss. Ein lautes Schnarchen war aus dem großen Himmelbett zu hören.

"Wie viel habt ihr getrunken?", fragte er die Sklavin leise.

"Viel." Huria wischte sich über den Mund und griff nach einem Glas, in dem eine rote Flüssigkeit schwamm. Sie roch daran und stürzte es herab. Was immer es war, schien kein Blut gewesen zu sein. An ihrem Hals konnte Myrtax mehrere Bissspuren sehen, die trotz der vampirischen Magie noch vorhanden waren. "Sehr viel. Viele Flaschen, ein paar Fässer. Sie haben sich gütlich daran getan. Und auch an mir." Sie kicherte. "Verwirrend alles. Aber ich war auch betrunken."

"Schadet es nicht dem..." Myrtax deutete auf ihren Bauch.

"Dem Ei?" Sie schaute herab und hob dann beide Schultern. "Vermutlich. Falls doch, werde ich es erneut versuchen und dann nicht mehr trinken."

"Warum? Liebst du ihn?"

"Meine Gefühle gehen dich nichts an." Ihr Lächeln war bezaubernd, aber Myrtax spürte die Wärme dahinter nicht, die sie eigentlich Jilal immer entgegenbrachte. "Nur meinen Herrn und seine Marseille."

"Natürlich geht es mich nichts an. Eigentlich müsste ich auch nicht fragen." Myrtax wischte sein Rasiermesser an dem weichen Tuch ab und war wieder einmal stolz auf dieses Werkzeug. Die Klinge bestand aus einem gräulichen Metall und war zweigeteilt, der obere Bereich bis zum Klingenrücken war nachtschwarz. Die Klinge selbst schnitt sogar Blätter ohne Widerstand.

Das Heft des einklappbaren Messers bestand aus Knochen und lag so gut in der Hand, dass es schien, als wäre es für die Hand des Sklaven hergestellt worden. Ein ledernes Band war durch ein schmales Loch am Ende des Hefts gezogen worden, sodass man es auch theoretisch am Gürtel tragen konnte.

Myrtax wollte es aber nicht am Gürtel tragen. Er mochte die lederne Tasche, in der sein Rasierpinsel, die kleine hölzerne Schale für die Rasierseife, die Rasierseife selbst und sein persönliches Trockentuch gelagert wurden. Sie roch nach der Rasierseife und frischem Leder, knirschte nicht, war schön glatt, lag gut in der Hand und ließ sich hervorragend überallhin mitnehmen. Vor allem gut in der Waschschale transportieren, die man ihm erst kürzlich zur Verfügung gestellt hatte.

Der Sklave schaute zu dem Himmelbett, in dem die beiden nackten Vampire lagen, mehr oder weniger umschlungen von Decken und Gliedmaßen. Er könnte sie töten. Beide. Das Messer war scharf genug und mittlerweile wusste Myrtax auch um seine Anatomie und die der Vampire. Die große Ader am Hals zu treffen war sicherlich nicht schwer.

Ein waghalsiges Unterfangen und sehr wahrscheinlich auch für ihn tödlich.

"Und dennoch tust du es.", fuhr Huria fort. "Sorgst du dich um mich, lieber Myr-Myr?"

Der Sklave erschauerte bei dem Spitznamen. "Ein wenig.", gab er zu. "Ich hoffe nur, dass du bekommst, was du möchtest und die Geburt auch überlebst."

"Mein Herr Jilal passt auf mich auf.", lächelte sie so bezaubernd, dass Myrtax für einen Moment daran dachte, sie aus dem Anwesen fortzubringen. Aber die Idee verflog so schnell, wie sie gekommen war, denn die Vampire waren überall und selten wurden Flüchtlinge lebendig zurückgebracht. Das Gefühl in ihm war auch wieder verschwunden.

"Ja, das tut er." Myrtax legte seine Rasiertasche in die Waschschale, erhob sich mit ihr und verneigte sich leicht vor der anderen Sklavin. "Wünsche angenehme Nachtruhe. Du weißt, wo und wie du mich erreichst."

"Das weiß ich." Huria neigte leicht den Kopf, als wäre sie auch eine aus dem Kreis der adligen Vampire. Myrtax verließ rasch das große Zimmer, zwei andere menschliche Sklaven standen vor der Tür.

"Ihr dürft. Weckt aber nicht die Herren.", brummte Myrtax. Die beiden Wachen im Gang mit ihren Kurzschwertern beäugten sowohl Myrtax als auch die Sklaven misstrauisch, hielten aber niemanden von ihnen auf.

Rasch nahm der Sklave den Weg nach unten. Er konnte jetzt noch etwas aus dem Buch lesen, welches er bei der letzten Lesung mit seinem Herrn aus der Bibliothek gestohlen hatte. Es war ein etwas größeres Werk, in Leder gebunden und altersfleckig, überzogen mit Rissen. Es war nicht gut gepflegt worden. Die Seiten waren dünn, ausgeblichen und teilweise war die Tinte kaum noch zu sehen.

Myrtax verrichtete seine Aufgaben, bevor er sich mit dem großen Buch ins Bett legte. Er hatte sich bereits die ersten Kapitel - falls man das so nennen konnte - durchgelesen und auch sein Alt-Vampirisch wurde erstaunlich schnell besser. Da er nicht wusste, wie die Bibliothek aufgebaut war, konnte er immer nur die Bücher greifen, die ihm gerade in die Hände fielen. Offenbar hatte er hier etwas erwischt, was sich mit den theoretischen Auswirkungen von Ritual- und Bannkreisen beschäftigte.

Der Übersetzer ging hier von verschiedenen grundlegenden Werken aus, die man gelesen haben sollte, was bei Myrtax leider nicht der Fall gewesen war. Dennoch verstand er genug, um die Aussage in den ersten paar Kapiteln zu verstehen.

Bannkreise gegen außerweltliche Gefahren - was auch immer das heißen mochte - konnten nicht nur mit Salz und Kreide erzeugt werden, sondern auch dauerhaft mit Steinen oder Holz. Gleichzeitig konnten so auch Rituale oder Zauber gewoben werden, die dann nur noch mit Magie zu befeuern waren. Er sagte allerdings nichts darüber, wie man eine derartige Menge an Magie dauerhaft bereitstellen konnte. Möglicherweise war es auch Thema in späteren Kapiteln oder anderen Büchern. Hoffentlich war es kein Grundwissen, es wäre fatal, wenn es so wäre.

Der Sklave war einerseits enttäuscht und andererseits dankbar für das Wissen, was ihm die Bücher vermittelten. Allerdings hatte er sich mehr Zauber erhofft, die direkter waren. Feuerbälle, Flammenstöße, Wind, Blitz und Eis. Davon hatte er bis jetzt noch nichts gelesen. Möglich, dass es eine andere Manipulation der Ströme innerhalb der Erde war, welche Myrtax noch nicht gefunden oder noch nicht verstanden hatte.

Neugierig streckte Myrtax die Hand nach oben aus und sprach "Feuer!"

Kein Kribbeln, keine Hitze, keine Schmerzen. Es war einfach nichts passiert. Seine Hand war nicht einmal warm geworden oder leuchtete.

Wie spürte man eigentlich Magie? Konnte es sein, dass er womöglich keine Begabung für Magie hatte?

Nein, es konnte und durfte nicht sein. Was Myrtax aus den Büchern erfahren hatte war einfach: theoretisch konnte jeder Vampir und jeder Mensch zumindest kleine Zauber ausführen. Die Magie machte da keinen Unterschied.

Doch Halt! Womöglich war ein Feuerball auch gar kein kleiner Zauber, sondern ein etwas mächtiger Offensivangriff, der erheblich mehr Aufwand brauchte als nur das Wort "Feuer" und den Wunsch, aus den Händen Flammen schießen zu können.

Diosmos hatte klar gemacht, dass Myrtax nicht willkommen war. Er hatte ihm nur beigebracht, dass um ihn herum Magie existierte in Form von Energie innerhalb der Welt. Menschen, Vampire, Blumen, Bäume, Erde. Soviel hatte Myrtax verstanden.

Das hieße doch, er musste nur auf die Energie zugreifen, oder? Nur, wie sollte er dies bewerkstelligen?

Fragen über Fragen, die ihm niemand beantworten konnte oder wollte. Das heißt, Myrtax brauchte Geduld.

Viel Geduld.

Nachdenklich schlug der Mensch das Buch wieder zu und schob es unter sein Kopfkissen. Eine gute, harte Unterlage.

Myrtax brauchte Geduld und Zeit. Beides davon hatte er im Überfluss. Aus dem Anwesen kam er nicht heraus und solange er seine Aufgabe als Haussklave von Jilal Lachlidan erfüllte, hatte er auch Zugriff. Diesen Zugriff durfte er nicht verlieren.

Müde schloss der Mensch die Augen und sah einen der im Buch eingezeichneten Ritualkreise vor sich. Da es nur ein Beispiel war, hatte dieser Kreis keinerlei Bedeutung oder Funktion.

Dennoch hatte der Mensch die Vermutung, dass aus diesen Kreisen mächtige Dinge passieren konnten. Nur wie mächtig und was genau, musste er herausfinden.

So viel Zeit, so viel zu tun, so viel Geduld.

Myrtax hatte eine Menge davon.

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